• Politik
  • Bücherverbrennung am 10. Mai 1933

Die Verfemten

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 9 Min.
Den Sommer 1932 verbrachte Thomas Mann noch einmal in Nidden auf der Kurischen Nehrung. Am 14. August kam aus Königsberg ein Paket. Es enthielt ein verkohltes Exemplar seines Romans »Buddenbrooks«. Er habe, schrieb Thomas Mann Monate später an Hermann Hesse, »die schwarzen Reste sorgfältig aufgehoben, damit sie einmal von dem Geisteszustand des deutschen Volkes im Jahre 1932 zeugen«. 1943, in einer seiner Rundfunkreden für deutsche Hörer, kam er auf den Vorfall noch einmal zurück: »Das war das individuelle Vorspiel zu der ein Jahr später, am 10. Mai 1933, vom Nazi-Regime überall in Deutschland in großem Stil veranstalteten symbolischen Handlung: der zeremoniellen Massenverbrennung von Büchern freiheitlicher Schriftsteller …« Mit den Scheiterhaufen, die in Berlin und in anderen Universitätsstädten dem ersten Judenboykott vom 1. April folgten, begann damals die systematische Verfolgung und Vertreibung der humanistischen Literatur aus Deutschland.

Er stand da und sah alles mit an. Sah den Scheiterhaufen, die lodernden Flammen, das johlende studentische Volk, die Männer in SA-Kluft ringsum, die Sturmriemen unterm Kinn. Er sah, wie zur Stimme des Rufers Bücher ins Feuer flogen, die Bücher der Kollegen, der Freunde, seine eigenen. »Gegen Dekadenz und moralischen Verfall. Für Zucht und Sitte in Familie und Staat«, hörte er und dann, nach Heinrich Mann und Ernst Glaeser, den eigenen Namen: Erich Kästner.

Er stand auf dem Platz vor der Berliner Universität, es war der Abend des 10. Mai 1933, ein Abend, den er später in einer Erinnerung festhalten wird, ein schauderhaftes, gespenstisches Spektakel. Ein anderer, Kurt Tucholsky, schon lange nicht mehr in Deutschland, schrieb im fernen Schweden, als er von den Geschehnissen hörte: »In Frankfurt haben sie unsere Bücher auf einem Ochsenkarren zum Richtplatz geschleift. Wie ein Trachtenverein von Oberlehrern.« Er werde nun langsam größenwahnsinnig, setzte er noch hinzu, »wenn ich zu lesen bekomme, wie ich Deutschland ruiniert habe«. Einen dritten, den bayerischen Erzähler Oskar Maria Graf, haben die Nazis damals nicht vollends verdammen wollen. Ein Teil seiner Romane, dachten sie, würde auch in ihre neue Zeit passen. »Verbrennt mich!« rief er ihnen entgegen. »Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein wie eure Schmach.«

Was damals, am 10. Mai 1933, geschah, und was diesem Tag folgte, ist vielfach dokumentiert worden. Zuerst von Alfred Kantorowicz und Richard Drews, die 1947 in einer schmalen, auf Zeitungspapier gedruckten Broschur die vielen Autoren vorstellten, die von den Nazis verboten, wie Erich Mühsam ermordet oder aus dem Land vertrieben wurden. Noch waren nicht alle Schicksale aufgeklärt, noch waren die Herausgeber auf ungesicherte Mitteilungen angewiesen, aber das hielt sie nicht davon ab, jeden Einzelnen mit biografischen Daten und einer knappen Leseprobe vorzustellen. Lange danach, 1977, erschien Jürgen Serkes »Die verbrannten Dichter«, inzwischen das populärste Werk zur Bücherverbrennung (2003 in einer erweiterten Ausgabe mit beigefügter CD aufgelegt), 1983 eine große Dokumentation im Leipziger Gustav-Kiepenheuer-Verlag, und nun kommt ein ganz neuer Band dazu: Volker Weidermanns »Das Buch der verbrannten Bücher«, ein lockerer, ganz subjektiver Bericht über die Autoren, deren Werke ein Opfer der Flammen wurden.

Er kam nicht von ungefähr, dieser 10. Mai. Schon im März 1933 hatte der Bibliothekar Dr. Wolfgang Herrmann, noch keine 30 Jahre alt und früh schon Mitglied des Deutschvölkischen Jugendbundes, den Auftrag erhalten, eine Liste des »zersetzenden Schrifttums« herzustellen. Er ließ es sich nicht zweimal sagen. Endlich, lange herbeigesehnt, eine Gelegenheit, sich mit seinem Hass auf alles Jüdische und Liberale auszuzeichnen. Mit Eifer trug er zusammen, was er für »undeutsch« hielt, fügte Namen zu Namen, Titel zu Titel. Seine Liste der »Schönen Literatur«, immer wieder ergänzt, brachte es auf 131 Autoren. Sie wurde mit der Aufstellung des 1928 von Alfred Rosenberg gegründeten »Kampfbundes für Deutsche Kultur« verglichen, auf 71 Autoren reduziert und als »Vorläufige Liste der Deutschen Studentenschaft« an Universitäten und Hochschulen verteilt.

Seit März 1933 gab es ein »Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda«. Die Studenten, treibende Kraft in der Erfassung der zu vernichtenden Bücher, gründeten unmittelbar danach ein »Hauptamt für Presse und Propaganda der Deutschen Studentenschaft«. Seine vordringlichste Aufgabe, proklamiert schon im ersten Rundbrief: »Öffentliche Verbrennung jüdischen zersetzenden Schrifttums durch die Studentenschaften der Hochschulen aus Anlaß der schamlosen Hetze des Weltjudentums gegen Deutschland.« Man hatte es eilig. Man richtete Sammelstellen für missliebige Bücher ein. Mitte April wurden »12 Thesen wider den undeutschen Geist« an den Universitäten ausgehängt. These 4 lautete: »Unser gefährlichster Widersacher ist der Jude.« These 5: »Schreibt der Jude deutsch, dann lügt er.« Deutsche Schrift, hieß es, stünde nur den Deutschen zur Verfügung. Jüdische Werke müssten in hebräischer Sprache erscheinen.

Die Hochschulen des Landes nahmen es hin. Nirgendwo Protest oder vorsichtiger Widerstand. Indessen begann auch der Börsenverein der Buchhändler, der in einer Erklärung die »nationale Erhebung« begrüßte, rasch mit der Erfassung von Autoren und Titeln, die aus den Regalen verschwinden sollten. Ganz oben auf seiner schwarzen Liste standen Feuchtwanger und Kisch, Kerr, Tucholsky und Arnold Zweig, alle jüdischer Herkunft. Außerdem Sozialisten, Pazifisten, kritische Publizisten und moderne ausländische Autoren.

Im letzten Augenblick, am 9. Mai 1933, als ein Misserfolg der geplanten Bücherverbrennung nicht mehr zu befürchten war, schloss sich Goebbels der Aktion an. Es war schon Mitternacht, als er auf dem Opernplatz in Berlin voller Begeisterung erklärte, man habe vor Wochen noch nicht wissen können, »daß so schnell und so radikal in Deutschland aufgeräumt werden könnte«.

Da waren viele schon nicht mehr im Land. »Abgereist«, schrieb Heinrich Mann am 21. Februar 1933 in seinen Taschenkalender. Er war einer der Ersten, der, mehrmals gewarnt, den Häschern zuvorkam. Ohne Gepäck und ohne Hast, um keinen Argwohn zu erregen, war er in den Zug gestiegen und von Berlin über Straßburg nach Toulon gefahren. Vor ihm hatte sich schon Robert Neumann ins Ausland gerettet. Am 15. Februar floh Alfred Kerr in die Tschechoslowakei, am 27. Februar Walter Mehring nach Frankreich, am 2. März Alfred Döblin (»Mit dem kleinen Koffer in der Hand zog ich ab, allein«) in die Schweiz. Andere zögerten, klammerten sich an eine Hoffnung, die jeden Tag illusionärer wurde. Arnold Zweig, deprimiert, notierte Anfang Februar: »Die Hitlerei in Dtld. setzt sich fest. Alle reaktionären Kräfte vereinen sich.«

Dann der Reichstagsbrand, der weitere Schriftsteller veranlasste, das Land überstürzt zu verlassen, und die ersten Massenverhaftungen. Feuchtwanger, der von einer Auslandsreise nicht wieder in sein Haus zurückgekehrt war, schrieb an den Freund Ende März 1933 aus der Schweiz: »Lieber Zweig, ich bin gewiß von jeher ein Optimist gewesen, aber Ihren Optimismus verstehe ich nicht.« Die Entscheidung fiel erst am 10. Mai, beim Anblick des Berliner Scheiterhaufens. »Deutschland«, notierte Zweig, »verbrennt meine Bücher.« Nun begann auch für ihn das Exil.

Ungefähr 2500 deutschsprachige Schriftsteller, viele von ihnen Juden, verbrachten die Jahre der Nazidiktatur in der Fremde, die meisten mittellos, aller Habe beraubt, gequält vom Hunger, ohne Publikum, ohne Publikationsmöglichkeit, entwurzelt, ermattet, mutlos, oft von Land zu Land getrieben, froh, wenn das rettende Ufer erreicht war. Aber was hieß da schon Rettung? Joseph Roth, rechtzeitig geflüchtet, trank sich aus Verzweiflung zu Tode. Ernst Weiß brachte sich, als die Nazis in Paris einfielen, in einem Hotelzimmer um. Durch Suizid starben Tucholsky, Hasenclever, Benjamin, Stefan Zweig. Ernst Toller, der so vielen Leidensgefährten großzügig geholfen hatte, erhängte sich in New York. Die Gefährten dachten, er habe einige Tausend Dollar auf seinem Konto. Er war in Wahrheit bettelarm.

Dem Gros der Emigranten ging es miserabel. Sie schrieben für die Schublade wie Brecht, publizierten in Exilblättern und -verlagen. Sie litten unter der Einsamkeit, lebten in Armut, waren auf Hilfe angewiesen wie Heinrich Mann. Döblin hat ein einziges Mal in fünf Jahren ganze 500 Dollar verdient, Wieland Herzfelde, der einmal der berühmte Malik-Verleger war, schlug sich in New York mit dem Verkauf von Briefmarken durch.

Die Nazis wollten ihre Namen und Werke für immer aus dem Gedächtnis löschen. »Schon die nächste Generation«, schrieb René Schickele, »wird nichts mehr von uns wissen.« Er behielt zunächst Recht. Als Leonhard Frank im Oktober 1950 wieder deutschen Boden betrat, zuversichtlich wie die meisten, die auf ein neues Deutschland hofften, ging er in eine Aache-ner Buchhandlung und fragte nach seinen Büchern. Es gab keine. Man kannte auch nicht seinen Namen. Anna Seghers kam 1947 aus Mexiko zurück. Sie kam als Fremde. Dass sie Autorin eines Weltbestsellers war (»Das siebte Kreuz«), wusste man nicht. So ging es allen.

Nach und nach kam das Werk vieler zurück, endlich auch das, was im Exil entstanden war. Der Aufbau-Verlag, schon im August 1945 gegründet, gab den lange Verfemten so energisch wie kein anderes Editionshaus in Deutschland die Stimme zurück: Max Herrmann-Neiße, Heinrich Mann, Anna Seghers, Arnold Zweig, Kisch, Ludwig Renn. Nur sorgte die ideologische Doktrin bald dafür, dass man streng sortierte, die einen druckte und andere, etwa Musil und Broch, nicht.

Mancher indes blieb vergessen. Mancher, im Lauf der Jahre wieder in Erinnerung gebracht, fand wenig Interesse. 1947, als in Berlin der erste Schriftstellerkongress tagte und man, allen sichtbar, die Namen jener Autoren bekannt gab, die Opfer der Hitlerbarbarei geworden waren, hielt man auch ihn für tot: Armin T. Wegner, den Mann, der im Frühjahr 1933 in einem mutigen, tollkühnen Brief an Hitler gegen die Judenverfolgung protestiert hatte, der daraufhin verhaftet, ins KZ geworfen und gefoltert wurde, mit dem Leben davonkam, ins Exil ging, 1948 nach Deutschland zurückkehrte, aber dort keine Heimat fand und den Rest seines Lebens in Italien verbrachte. In Israels Gedenkstätte Yad Vashem wurde er 1968 als Märtyrer aufgenommen. Mitte der 70er Jahre stöberte ihn Jürgen Serke auf. »Warum«, fragte ihn Wegner, »seid ihr denn nicht früher gekommen?« Man hat Armin T. Wegner später mit ausgewählten Texten, auch in der DDR, aus der Versenkung geholt. Aber was er zu sagen hatte, wissen heute nur wenige.

Eine neue, soeben gestartete Edition, die »Bibliothek der verbrannten Bücher«, herausgegeben vom Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien und ediert im Verlag Georg Olms, wird die einst Vertriebenen erneut ins Bewusstsein holen. Die ersten zehn Bände (insgesamt sollen es 120 werden) bringen u. a. Texte von Anna Seghers, Salomo Friedlaender, Gina Kaus, Walther Rathenau und Tucholsky. 4100 Schulen werden die Kassette als Geschenk erhalten. Die Nachricht gehört zum Besten, was dieser 10. Mai 2008 zu bieten hat.

Volker Weidermann: Das Buch der verbrannten Bücher. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 255 S., geb., 18,95 EUR.
Jürgen Serke: Die verbrannten Dichter (mit einer CD). Verlag Beltz & Gelberg. 442 S., geb., 18,90 EUR.
Armin Strohmeyr: Verlorene Generation. Dreißig vergessene Dichterinnen und Dichter des »anderen Deutschland«. Atrium Verlag. 447 S., geb., 24,90 EUR.
In der Reihe »Das verbrannte Buch« des BS Verlags Rostock erschienen u.a.: Alfred Kantorowicz: In unserem Lager ist Deutschland. 68 S., brosch., 9,40 EUR. Adam Scharrer: Vaterlandslose Gesellen. 192 S., brosch., 13,20 EUR. Paul Zech: Rotes Herz der Erde. Balladen und Gedichte. 95 S., brosch., 8,20 EUR.


Zur Erinnerung an die Bücherverbrennung vor 75 Jahren finden an vielen Orten Veranstaltungen statt. Unter dem Titel »Literatur auf dem Scheiterhaufen – der Geist im Feuer« laden die Akademie der Künste, das P.E.N.-Zentrum Deutschland, der Verband deutscher Schriftsteller und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels heute 11 Uhr ins Akademiegebäude am Pariser Platz in Berlin ein. Es spricht Bundespräsident Horst Köhler. Die Schauspieler Günter Lamprecht und Jutta Wachowiak, die Schriftsteller Volker Braun, Ingo Schulze und Herta Müller lesen aus Werken von Tucholsky, Kästner, Brecht und anderen.

Zur gleichen Zeit wird im Deutschen Historischen Museum die »Bibliothek verbrannter Bücher« präsentiert.

Ab 16 Uhr treten auf Einladung der VVN-BdA und der studentischen »Stiftungsinitiative 10. Mai« im Senatssaal der Humboldt Universität Hermann Kant, Barbara Thalheim, Elfriede Brüning, Werner Treß und Heinrich Fink auf.

Ab 19.30 Uhr gibt es im Willy-Brandt-Haus eine Gedenkveranstaltung mit Vorträgen und Lesungen.

»Lesen gegen das Vergessen« ist eine bundesweite Aktion, die am Freitag – auch in vielen Schulen des Landes – beginnt und am Samstag auf dem Berliner Bebelplatz einen Höhepunkt findet. Auf einer Veranstaltung der LINKEN lesen dort ab 11 Uhr unter anderen Elfriede Brüning, Erica Fischer, Regina Scheer, Klaus Rennert, Monika Ehrhardt-Lakomy, Lukrezia Jochimsen, Gesine Lötzsch, Petra Pau und Gregor Gysi.
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